Ich hatte mir nun einmal schon mit 14 Jahren vorgenommen, mich als Frau möglichst nicht unterdrücken zu lassen.

Egal durch wen oder was. Ich wollte auf gar keinen Fall wie meine Mutter enden (die später noch enorm selbständig wurde). Als Angelpunkt meiner Selbstbehauptung diente mir mein starker Intellekt. Gründlich nachzudenken ist eine Lust für mich. Ach diese jungen Männer mit ihrem machistischen Kollektivzwang, einem Mädchen wie mir unbedingt beweisen zu müssen, dümmer im Denken zu sein. Die Armen. Im Schnitt brauchte ich 5 bis 6 Sätze, um die Gedankengänge meines Kontrahenten im philosophischen Duell so zu zerlegen, daß dieser nicht mehr recht weiter wußte. Für mich war (ist) das geistiger Sport, ich mein(t)e es wirklich nicht „böse“...

Damals wußte ich noch nicht, daß mein persönlicher Lustgewinn sich auch psychisch eindeutig eher von der sexuell dominanten Seite her speiste...und ich daher nicht zuletzt deswegen geistig so relativ stark wirk(t)e...

Mein Wille, wirklich gut zu denken (und zu sein), war von meiner sexuellen Motivation her lange ungebrochen. 

Das pseudodevote Spielchen der meisten anderen Mädchen in der Interaktion mit Jungen, sich zwar neckisch zu streiten, letztendlich aber (als "Gescheitere") nachzugeben, mit dem erotischen Hintergrund, sich "als Belohnung" so quasi dann "erobern" zu lassen, war mir ein Greuel. Ich wollte (und will) in einer Auseinandersetzung wirklich siegen.

Samt (evtl. erotischer) Belohnung nach dem Sieg. Ansonsten kämpfe ich möglichst gar nicht. Wäre sinnlose Energieverschwendung. Etwas anderes ist Selbstbehauptung, also eher Verteidigung. Im Patriarchat dürfte es Frauen wie mich aber erst gar nicht (wirklich) geben...Frauen wie ich, hetero und durchaus fähig, lustvoll befrauschend einen Mann sexuell sich "nehmend" samt allem genitalem Drum und Dran sind die Watsch`n schlechthin ins Denken und Fühlen aller KlischeedenkerInnen...Und genau das, mit Verlaub, sind die allermeisten Frauen und Männer in diesem alle verblödenden Patriarchat. Erotische und soziale LangeweilerInnen, oft nicht einmal fähig, für sich selbst zu definieren, was sie unter dem Wörtchen "Liebe" denn wirklich vom Partner oder der Partnerin erwarteten...

Die meisten wissen nicht einmal, woraus ihre höchstpersönliche Lust sich denn speist....können keine einfachen Rollentauschspiele zelebrieren...usw. Ich übte damals schon recht bewußt, phantasierte viel.

Armer Walter. Er versuchte lange, die Beziehung zu mir und seine sonstigen Freundschaften unter einen Hut zu bringen. Das ging nicht. Ich bin zwar gescheit, aber die anderen sind mehr...heute noch.Walter trennte daraufhin unsere Treffen möglichst strikte von seinen sonstigen Aktivitäten. Wir waren trotzdem noch monatelang zusammen. Ich trennte mich dann später von ihm, als er sich weigerte, mit mir voll (inclusive genitale Sexualität) zu gehen...er wollte „mich schonen“. Bumste heimlich mit einer älteren Frau... Es war naheliegend während meines sexuellen Heranreifens, daß ich mich (auch) zu Frauen erotisch hingezogen fühlte. Und umgekehrt. Zweimal habe ich echte Annäherungen in Erinnerung. Einmal in einem Internat in Innsbruck, wo eine der Erzieherinnen optisch und auch im Verhalten der Rolle des "kessen Vaters" recht nahe kam. Einige der schon älteren Mädchen Anfang Zwanzig hatten ein für uns andere auffallend freundschaftliches Verhältnis zu dieser Frau. Es gab offenbar kleine Treffs im Zimmer der Erzieherin, die für uns andere zu Spekulationen Anlaß gaben. Aufregende Sache, das Ganze. Manche von uns Jüngeren belauerten diese "Besprechungen" geradezu und versuchten, Konkreteres zu erfahren...unsere eigenen sexuellen Sehnsüchte garantierten in diesem kleinen Schülerinnenheim jedenfalls eine gewisse Spannung. Ich war mit 14 Jahren die Jüngste in diesem Internat. Zuerst schien ich auf Grund meiner Jugend außer obligo zu sein für jegliche Miteinbeziehung in sexuelle Geheimnisse. Nach etlichen Monaten wurde ich  zu diesen erotisch besetzten Treffen mitgenommen. Es gab Streicheleinheiten und erste vorsichtige Küsse, und mir begann die auch körperliche Kommunikation mit einzelnen Frauen ganz ungemein gut zu gefallen. Ich war vermutlich auf dem besten Weg , lesbisch zu werden. Zwei oder drei der ältesten Mädchen, in der rein weiblichen Heimhierarchie weit oben und mit ausgeprägtem Dominanzverhalten gegenüber uns anderen, hatten aber noch andere Beziehungen. Außerhalb unseres Internates. Zu irgendwelchen Männern. Gegen Ende des Schuljahres befanden sie mich als würdig genug, zu diesen Treffen mitgenommen zu werden. Sie wollten mich dieser Clique von reiferen Studenten, Globetrottern und 68 er Bewegten (es war 68 ) als interessanten weiblichen Nachwuchs vorstellen.

Was für eine Ehre für mich. Als Jüngste im Heim. Ich war stolz.  Zur Einleitung war das Ganze mit äußerst kryptischen Andeutungen mir gegenüber garniert...da gebe es noch etwas...sexuell...ob ich nicht ohnehin schon wüßte, was? Ich empfand mich als voll aufgeklärt, konnte mit diesen Ansagen nichts anfangen, ging aber (no na) neugierig mit. Wir trafen auf die Clique untertags in einem ganz normalen Innsbrucker Cafe. Der Boß dieser Studenten war ein gewisser Mischa, ein reicher Erbe angeblich, der auf mich unerfahrenes junges Mädchen einen wirklich großen Eindruck machte...wir redeten zuerst irgendetwas....Er hatte, intelligent und erfahren, wie er offenbar war, schnell spitz, daß ich innerlich (ebenfalls) dominant gewickelt war. Mir war das damals noch gar nicht so sehr bewußt. Mischa meinte, er müßte mir wohl etwas zeigen. Befahl daraufhin der (für mich) sich ungewohnt zurückhaltenden älteren Heimgefährtin plötzlich, ruhig zu bleiben und ihre Hand zu ihm zu strecken.

Am Tisch wurde es ernst und still.

Und dann drückte dieser Typ langsam seine brennende Zigarette auf dem Unterarm der jungen Frau aus, und sah mir dabei aufmerksam ins Gesicht. Mein erster Impuls war ein leiser Aufschrei, der zweite der Versuch, aufzuspringen und diesem Mischa mit voller Kraft und Agression  ins Gesicht zu springen.

Zu oft hatte ich Sadismen von Seiten meines Stiefvaters meiner Mutter und uns Töchtern gegenüber erlebt.

Ich war (auch) darauf konditioniert (worden), zu schützen. Frauen zu schützen. Ein Student, an meiner anderen Seite sitzend, packte mich schnell an den Oberarmen und hielt mich fest im Sessel zurück. Die Zigarette erlosch.

Die von mir vorher als so selbstsicher eingeschätzte und fast ein bißchen verehrte junge Frau hatte Tränen in den Augen, den Kopf gesenkt und ließ ihren gequälten Arm bei "ihrem" Freund, Herrn, Liebhaber oder wie auch immer das üblicherweise genannt wird.

"Ich solle verstehen lernen", meinte Mischa zu mir dann recht ruhig.

Sie mache das "freiwillig"...meine Heimgefährtin nickte dazu leicht, demütig den Kopf gesenkt, mit Tränen in den Augen. Ich antwortete ihm, innerlich sehr aufgewühlt; wenn er oder ein anderer so etwas jemals mit mir versuchen sollte, würde ich versuchen, ihn umzubringen. "Der kannst du das glauben", bestätigte die andere junge Frau, die in dieser gemischten Gruppe ebenfalls nicht gerade weit oben zu rangieren schien in der sozialen Hierarchie, im Gegensatz zu der im Heim...

"Ich weiß", meinte dieser Mischa dann, und fügte noch dazu, bei mir würde "so etwas" wohl auch kaum einer

einmal versuchen...

Ich war nach dieser Erfahrung ziemlich verstört. Begann, die anderen jungen Frauen im Heim zu beargwöhnen.

War es möglich, daß Frauen untereinander sich selbstsicher und stark gaben, erotische Beziehungen eingingen, sogar andere Frauen durchaus manchmal in der sozialen Interaktion unterdrückten, und dann kommt ein sadistisch - dominanter Typ daher und sie schmelzen einfach dahin? Inclusive "freiwilligen" Akzeptierens beinharter körperlicher Demütigungen und Schmerzen? Cora Publico? Es war unglaublich. Die beiden benahmen sich in der reinen Frauengesellschaft im Heim gegenüber den anderen so selbstsicher und lässig bestimmend wie vorher. Fragten nur "unter uns" verschwörerisch bei mir nach, ob ich endlich "begriffen" hätte. Was ich damals ehrlich verneinte. Nein, ich könnte so etwas nicht so recht begreifen.

Heute begreife ich sehr wohl...

Sie schienen enttäuscht. Ich traf dann noch einige Male den Studenten der Clique, der mich zurückgehalten hatte, diesen Mischa anzugehen. Der (doppelt so alte) Mann verhielt sich mir gegenüber wirklich fair. Ich wurde in der Gruppe respektiert. Intellektuell ernst genommen. Sogar sexuell in Ruhe gelassen. Eine Gruppenerfahrung, die sich später in meinem Leben wiederholte. Die anderen anwesenden Frauen wurden "anders" behandelt...wie üblich halt....als Frauen....ein unsichtbarer Graben schien sich zwischen mir und den anderen aufzutun....

Ein Faktum, das meine Verwirrung (mit 14 Jahren) für`s erste nur noch steigerte. Diese Leute waren offenbar gar keine so unberechenbaren Idioten...und trotzdem....ich konnte kein eindeutiges Feindbild aufbauen. Ich hörte aber auch auf, mit den anderen jungen Frauen im Heim erotische Spiele zu machen. Meine anwachsende Frauen-verachtung hemmte jede weitere ehrliche Annäherung an eine andere im Heim. Ich wechselte nach diesem Schuljahr von Innsbruck zurück nach Klagenfurt in die Familienhölle "zu Hause". Um meiner Mutter beizustehen....im brutalen sozialen (!) Sadomaso Kampf mit ihrem (!) Gatten, meinem Stiefvater...

Sie hatte mir telfonisch ein paar Mal verzweifelt angedeutet, nicht mehr weiter zu wissen, sie könne nicht mehr.

Ich ging ihr ab, mit meinem aus verzweifelter Notwehr entstandenen Mut zur Konfrontation...außerdem war mein jüngerer Bruder Gerhard schwer erkrankt. Die Pädagogen im Heim und im Gymnasium versuchten (zu Recht) konzertiert, mich von der Rückkehr in mein katastrophales Elternhaus abzuhalten. Dr. Wurst hatte mich ja extra möglichst weit weg von "zu Hause" gesteckt, um mir eine Chance zu geben. Ich wollte und konnte meine Mutter (samt meinen jüngeren Geschwistern) aber nicht "im Stich" lassen. Diese Entscheidung war für meine weitere persönliche Entwicklung vielleicht ein großer Fehler. Im Endzeugnis der vierten Klasse bekam ich dann extra viele schlechte Noten von Seiten der Professoren. Mit der Bemerkung, damit würde mich wohl kaum eine andere Schule nehmen. Ich solle gescheit sein, die Klasse wiederholen.

Meine hohe Intelligenz und Mehrfachbegabung sollte unbedingt zu einer akademischen Ausbildung führen.

Ich verweigerte. Ich wollte Künstlerin werden. Talent dazu hatte (und habe) ich genug. In der gesamten Erwachsenenwelt rundherum hatte meine Suche nach möglichen Vorbildern außerdem nur ein einziges akzeptables Modell für mich gefunden. Ein älteres, nicht gerade begütertes, aber kreativ und gefühlsmäßig recht ehrlich miteinander lebendes Künstlerpaar schien mir unter der Fülle von indiskutablen, da (in Varianten) ziemlich verlogen wirkenden Frauen und Männern um mich herum sich die mit Abstand beste Lebensqualität erarbeitet zu haben....

Als erste weitere Ausbildungsgrundlage wählte ich ein Kunsthandwerk, das mir nahe stand. Mein Stiefvater war außerdem  Spenglermeister und besaß viel Werkzeug zur Metallbearbeitung. Mit 15 ging ich daher in die Waffen- und Kunsthandwerkschule nach Ferlach. Lernte Graveur und Ziseleur. Mein schlechtes Zeugnis wurde durch eine gute Aufnahmsprüfung wettgemacht. In Ferlach sammelten sich die buntesten Gestalten






DIE MENSCHIN - Brigitte Lunzer-Rieder -  info@diemenschin.at